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Die Sage vom Ritter Bock zu Linden...

 

Vom Ritter Bock zu Linden

Eine alte Sage, nacherzählt (geschrieben) von Sophia Wichelmann


Die Geschichte vom Ritter Bock, der vor langen Jahren in Linden gelebt haben soll, muss man sich vom Volke erzählen lassen. Wir wollen einmal hören, was es von ihm weiß.
Der Ritter Bock zu Linden? Ja, das war ein angesehener Herr, der hatte mehr Recht als andere Leute. Wenn er am Sonntagmorgen hoch zu Ross in Ebstorf erschien, machte ihm jeder ehrerbietig Platz. Er stieg nicht vor der Kirche ab, sondern ritt stracks hinein. Das konnte ihm niemand verwehren, solange sich sein kluger Hengst nicht ungebührlich benahm. Der Ritter durfte auch während des Gottesdienstes im Sattel bleiben; gefiel ihm das aber nicht, so winkte er seinem Knecht und ließ das Pferd in einen besonderen Raum führen. Dieser lag am Nordeingang der Kirche und wurde allgemein „Bocks Pferdestall‘ genannt.
Einst zog der Ritter im Dienst des Herzogs aus zu einer blutigen Fehde und ließ lange nichts von sich hören. Einen Tag wie den andern schaute sein junges Weib nach ihm aus und weinte sich die Augen rot; aber er kehrte nicht zurück, und alle Nachforschungen waren vergebens.
Die Zeit verstrich. Der Ritter war und blieb verschollen. Schmachtete er im Kerker einer feindlichen Burg, oder war er im Kampf gefallen? Helmeke, sein alter Knecht, glaubte weder das eine noch das andere. „Hadden se den Ridder Bock fanged edder (oder) in den Sand strecked, se hadden dat Mul seker (sicher) nicht geholen“. pflegte er zu sagen. Er war fest überzeugt, dass der Vermisste irgendeine neue Kriegsfahrt unternommen habe und über kurz oder lang heimkehren werde.
So zuversichtlich war aber seine junge Herrin nicht. Als Jahr und Tag vergingen und von dem Ritter keinerlei Kunde kam, wurde ihr Glaube an seine Rückkehr immer schwächer, und sie war oft nahe daran, alle Hoffnung aufzugeben. In solchen Augenblicken beklagte sie ihr bitteres Los und weinte um den Verschwundenen wie um einen Toten. Manchmal gelang es dann dem treuen Helmeke, sie zu beruhigen. Sie fasste wieder Mut und nahm sich vor, geduldig auszuharren; aber der quälende Zweifel stellte sich immer wieder ein, und wenn sie an die Zukunft dachte, war sie ganz untröstlich. Wie, wenn sie niemals Gewissheit über das Schicksal ihres Gatten erhielte? Dann war sie ja ihr Lebtag einsam und verlassen! Dieser Gedanke ängstigte die von Natur lebenslustige Frau gar sehr. Tag und Nacht sann sie über ihre Lage nach. Was war zu tun? Endlich hatte sie einen Entschluss gefasst und war nun plötzlich wie umgewandelt. Als der alte Knecht wieder einmal von der Heimkehr seines Herrn sprach, fuhr sie ihn zornig an: „Was soll das törichte Geschwätz? Ich will und muss zur Ruhe kommen! Wäre der Ritter nicht tot, ich hätte längst ein Lebenszeichen erhalten. Ich kann nicht mehr an seine Rückkehr glauben. ‘Spar‘ deine Worte! - Morgen ziehe ich das Witwenkleid an. Von nun an wies die Frau jeden Zweifel an dem Tode ihres Mannes mit Entschiedenheit zurück; für sie hatte die Ungewissheit ein Ende. Eine Zeitlang trauerte sie noch, aber bald war alles Leid vergessen. Heiterkeit und Frohsinn kehrten wieder, und die alte Lebenslust erwachte. Nun hielt sie es nicht länger in der Einsamkeit aus. Sollte sie ihre Jugend vertrauern? Nein! Sie hatte genug gelitten. Jetzt wollte sie das Leben genießen, sich wieder schmücken und im Kreise froher Menschen freuen. Bald sprach man überall von der schönen Witwe, den prunkvollen Festen in ihrem Hause und den vielen Verehrern, welche sie umschwärmten. Nun fühlte sie sich wohl. Aber der treue Helmeke schüttelte oft traurig den grauen Kopf. Er sah das Unheil kommen, konnte ihm aber nicht wehren. Die leichtsinnige Frau ließ sich nicht warnen. Vergnügt und munter scherzte sie mit den Freiern und reichte schon nach kurzer Zeit einem von ihnen die Hand zum Ehebunde.

              

Bald nachher sprengte an einem schönen Sommerabend ein Reiter ins Dorf. Der alte Helmeke, der eben das Hoftor schließen wollte, traute kaum seinen Augen. War das nicht der Ritter? Ja, jetzt trabte er auf den Hof und sprang vom Pferde. Stumm und starr wie eine Bildsäule stand Helmeke vor seinem Herrn. „Was soll nun werden?“, dachte er. Einen Augenblick sah der Ritter ihn verwundert an, dann rief er: „Nun, Alter‘ Hast du weder Gruß noch Willkomm für den Heimgekehrten?“ Da kam der tieferregte Mann wieder zu sich. „Oh, Herr, wäret Ihr doch früher gekommen“ ‚ sagte er, und die Tränen rollten ihm über die Wangen. Lächelnd reichte der Ritter ihm die Hand und sprach: „Du siehst, ich bin gesund und heil. Und das sonst alles glücklich ging, das ließ ich melden. Warum denn Tränen, alte treue Seele? Sorg‘ für das Pferd. Ich will mein liebes Ehegemahl begrüßen.“ Damit wollte er dem Hause zuschreiten, aber Helmeke trat ihm in den Weg und sagte: „Schwer ist es, Herr, doch ich muss sprechen. Weil niemals eine Botschaft von Euch kam, so‘ — „Was ist geschehen?“ fiel der Ritter ihm ins Wort. „Ein Unglück, Herr! Eure Gemahlin ist — verzeiht der Armen! — die Gattin eines andern.“ Da wankte der starke Mann, als habe ihn ein schwerer Schlag getroffen. Dann rief er zornbebend: „Wehe dem Räuber meines Glückes!“ ‚ zog das Schwert und stürmte fort, dem Hause zu. Ehe er dasselbe erreichte, wurde die Tür geöffnet, und im nächsten Augenblick stand er seiner Frau gegenüber.

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Beim Anblick des wütenden Mannes schrie sie laut auf und dann, als sie ihn erkannte, wollten ihr vor Schreck die Sinne vergehen. Der Herzschlag stockte. Die Glieder zitterten. Totenbleich, die Hände flehend erhoben, sank sie nieder. „Erbarmen!“, jammerte sie, „hab‘ Erbarmen! „Wo ist dein Buhle, Weib?“, schrie der Ritter, aber die fast ohnmächtige Frau antwortete nicht. Inzwischen war Helmeke, das Pferd am Zügel führend, herangekommen. Nun legte er die Hand auf den drohend erhobenen Arm seines Herrn und sagte bittend: „Haltet ein, Herr! Er ist nicht hier, den Ihr sucht. Haltet ein! Und schont die Unglückliche.“ Der Ritter besann sich kurz. Dann stieß er das Schwert in die Scheide und sagte: „Hab‘ Dank für deine Mahnung, Alter! Treff‘ ich den Buben, der mir in das Haus drang. nicht daheim, so war es zwecklos, hier das Schwert zu ziehen. Leb wohl, Du wirst noch von mir hören.“ Hierauf ergriff er schnell den Zügel des Pferdes, schwang sich in den Sattel und ritt, ohne die weinende Frau noch eines Blickes zu würdigen, zum Tor hinaus.
In Linden ließ sich der Ritter Bock nie wieder sehen; aber man hörte noch einmal von ihm. Er hatte Haus und Hof mit der Bedingung verkauft, dass beides einem unfreien Verwandten, der auch den Namen Bock trug, gegen eine jährliche Abgabe .‚eingetan“ werde. Dieser und seine Nachkommen sollten fortan den Hof, welchen die treulose Frau sofort verlassen musste, bewohnen. Über die Zinsen eines Kapitals, das der Ritter für die Familie Bock in Lüneburg hinterlegt hatte, war in dem Schuldbrief bestimmt, dass dieselben jedes Mal, wenn eine Braut in Ehren den Hof verlasse, zur Ausstattung derselben verwendet, sonst aber alljährlich verteilt werden sollten.


Die vorstehende Erzählung klingt wie eine Sage; aber etwas Wahres scheint doch daran zu sein. In der Kirche zu Ebstorf wurde noch in neuester Zeit ein Raum als „Bocks Pferdestall“ bezeichnet, und die Familie besaß, wie aus dem Erbvertrag von 1581 hervorgeht, in Lüneburg ein Kapital, dessen Zinsen alljährlich an die Familienglieder verteilt wurden. — Ob es in Linden wirklich einen oder mehrere Ritter namens Bock gegeben hat, lässt sich nicht sagen. Es ist möglich, dass die Vorfahren der Gebrüder Bock, welche im 16. Jahrhundert als einfache Bauern auftreten, vor dem Herrn von Bervelde freie Besitzer des Gutshofes waren und in ritterlichem Ansehen standen; es kann aber auch sein, dass ihnen die Ritterwürde nur im Volksmunde beigelegt wurde. Wenn letzteres der Fall ist, dann hat jedenfalls die hervorragende Stellung der Familie Bock die Veranlassung dazu gegeben. Der Inhaber des Hofes besaß mancherlei Vorrechte. Die Kötner des Dorfes mussten ihm dienen. Vor der Gründung des Vogteigerichts hatte er gewöhnlich im Namen des Grundherren das Pfahlgericht auf dem Hofe zu halten. Er war frei vom Gohdienst, hatte aber die Pflicht, für die Instandhaltung der Landwehrgräben zu sorgen. Ein solcher Graben, der vom Eimker Moor zur Landstraße und von dieser in nördlicher Richtung zur Gerdau läuft, heißt noch heute „Bocks Graben". Das Wappen der Familie zeigt einen Heidschnuckenbock und darüber an einer Stange zwei halbe Lindenblätter von verschiedener Größe. In dem östlichsten Fenster des Klosterchors zu Ebstorf befindet sich ein solches Wappen mit der Unterschrift:
„hans bock“.

Zum Anhören der Sage bitte hier klicken oder auf das Symbol.

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Wer möchte, kann die Sage auch in "Altdeutscher Schrift" lesen.

(Zum Anklicken als pdf Datei).

 

Karte: google-maps

                                     

 

Quelle:

Ebstorf: Aus der Geschichte des Klosterfleckens von Sophia Wichelmann

Ebstorf. Aus der Chronik von Wilhelm Spangenberg und Sophia Wichelmann

Sophia Wichelmann war lange Jahre Lehrerin und Konrektorin an der Realschule Ebstorf (Gervasius - Realschule). Eine immer engagierte Lehrerin in allen Facetten. Auch nach ihrer aktiven Zeit als Lehrerin kam sie jeder Einladung zu einem Klassentreffen in der Realschule Ebstorf nach. Im Juli 2010 verstarb Sophia Wichelmann im hohen Alter.

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                Sophia Wichelmann